„Wille und Unwille“

Mir wurde vor einigen Tagen von privater Seite die folgende Frage vorgelegt:
Über einen längeren Zeitraum habe ich immer wieder Zusagen bekommen, die nicht eingehalten wurden. Ich übte mich in Geduld. Mit Blick auf den Menschen und seine guten Eigenschaften. Ja, es hatte schon mal vorsichtige Gespräche gegeben in der Vergangenheit, in denen ich die Person konfrontierte. Als Antwort hörte und sah ich sofort echte Zerknirschung und Verständnis für meine Wünsche nach Umsetzung.
Nur geändert hatte das nichts.
Dann die nächste Episode, Zusage und wieder Nichteinhaltung mit Erklärungen, warum es nicht geklappt hat. Ich sagte nichts, wollte nichts sagen, das brachte ja nichts. Statt einer Aussprache begann ich ein kleines Protokoll anzulegen, meine Gedanken, Gefühle und Beobachtungen festzuhalten, um sie bei besser passender Gelegenheit vorzutragen, am besten, wenn den Worten endlich Taten gefolgt sind - oder auch nicht. Jedenfalls war mir leichter. Im Kontakt blieb ich freundlich, auch wenn die Aufzeichnungen es nicht waren. Die enthielten neben den Beschreibungen der Abläufe ein paar eher böse, mindestens scharfe Bemerkungen.
Weiter ging es mit Ankündigungen, denen Nichteinhalten mit Begründungen und wieder neuen Ankündigungen folgten. Zu guter Letzt platzte mir in einem ungünstigen Moment der Kragen. Bitte keine Ankündigungen mehr, sondern nur noch Umsetzungsberichte! Ich bin sehr unzufrieden! Nicht freundlich. Unwillig. 
Danach erfolgte zu meiner Überraschung ein kompletter Kontaktabbruch der eigentlich freundschaftlichen Beziehung.
Was ist hier schief gegangen, was hätte ich besser machen können ?!?
Zusagen, Versprechen, Ankündigungen. Was geschieht hier?
Ein Mensch erklärt seinen Willen etwas zu tun. Sagt, „ich werde“. Dies kann mehr oder weniger freiwillig geschehen. In einem Verhältnis auf Augenhöhe, einem Schuld- oder Vertragsverhältnis, einem Abhängigkeitsverhältnis, wie auch immer.
Der Mensch gibt sein Wort und wir glauben ihm. Gehen davon aus, dass die Zukunft (in etwa) so sein wird. Wir erwarten, dass er seinem Wort entsprechend handelt.
(Ja, man weiß ja nie was genau, was er denn nun genau gemeint hat. Auch kleinere Abweichungen können hier schon einen gewissen Unwillen bei uns hervorrufen. In der Regel wissen wir, dass Verständigung fehlerträchtig ist und sind hier je nach Situation und Temperament mehr oder weniger nachsichtig.)
Aber was, wenn es sich uns anders darstellt, das Versprochene geschieht nicht?
Wir fühlen uns enttäuscht. Es geschieht nicht das, was wir schon als vollendetes Geschehen in unsere Welt eingebaut hatten. Was wir als gegebene Realität behandelt haben, etwas, das so sicher eintritt, wie der Morgen einen neuen Tag bringt, das stellt sich als eine Täuschung heraus. Als ein Verlust, der von uns mehr oder weniger schmerzhaft empfunden wird.
Je nach Temperament und Situation sind wir zunächst nachsichtig oder sogleich zornig.
Solange wir den guten Willen in der anderen Person wahrnehmen, desto eher werden wir mit Nachsicht reagieren.
Beginnen wir an diesem guten Willen zu zweifeln, verlieren wir unseren Glauben an die Person. Fast unmerklich und schleichend oder plötzlich und endgültig fühlen wir uns enttäuscht, nicht ernst genommen, getäuscht oder gar betrogen. Unser Unwille richtet sich jetzt gegen die Person. Ähnliches geschieht, wenn wir zwar den guten Willen sehen, aber unser Vertrauen in andere Kräfte des anderen erschüttert ist. Ja, er will wohl, das glaube ich, aber ihm fehlen andere Qualitäten, die Umsetzung wird (wieder) scheitern. Sei es Urteilskraft, Geschicklichkeit, Organisationsfähigkeit, Härte gegen sich selbst und andere, was auch immer.
In der Konsequenz nehmen wir Aussagen nicht mehr ernst. Wir schenken kein Vertrauen mehr.
Immer, wenn so etwas in unserem Leben geschieht, dieser Vertrauensverlust, so erleben wir das als das, was es ist. Ein Verlust. Hier geht etwas Kostbares verloren. Wir können nicht mehr glauben oder wollen zu unserem Schutz nicht mehr. Wir leben so selbstverständlich im Vertrauen wie ein Fisch im Wasser. Die enorme Bedeutung und das Wunder, das in verlässlichen Beziehungen liegt, ist uns oftmals gar nicht bewusst. Wir geben einander Fixpunkte in der Zukunft. Dies oder das zu tun zu gegebener Zeit. Mit Sicherheit und unserer ganzen Kraft.
Geht es von unserer Seite mal daneben, so unterstreichen wir mit Signalen wie Reue und Wiedergutmachung die enorme Wichtigkeit, die wir verlässlichen Beziehungen beimessen. Parallel oder alternativ dazu suchen wir nach Begründungen und von uns nicht zu verantwortenden Einflüssen, die uns abgehalten haben, unser Wort zu halten. Das ist zweischneidig, entlastet uns kurzfristig, aber untergräbt mit der Zeit das Vertrauen, dass wir unserem eigenen Willen und Fähigkeiten schenken.
Vertrauen ist ein Verb wie glauben. Wer vertraut, baut auf einer bestimmten guten Zukunft weiter auf. Vertrauen aufbauen nennen wir die Aktivitäten, die den Glauben in etwas stärken. Warum wollen wird das tun? Warum wollen wir den Glauben an etwas stärken, warum wollen wir Vertrauen stärken?
Wozu ist das gut?
Wir können gemeinsam andere Dinge tun als allein. Wir können loslassen, wo wir wissen, das andere uns halten. Wir können Projekte mit Zuversicht anpacken, vor denen wir alleine den Mut verlieren.
Wir können unsere Energien auf größere Ziele ausrichten. Wir können größer planen und mehr bewegen. Wir können Kräfte bündeln.
Vertrauen ... Darauf (auf)bauen, was der andere gesagt hat.
Bauen ... Dinge sinnvoll anordnen, so dass sie einem gewünschten Zweck dienen. Wir investieren Zeit und Energie.
Darauf ... etwas von oben (entgegen der Schwerkraft; in Fortsetzung einer Folge) auf etwas Unteres anfügen. Das Untere hält oder trägt oder stützt hierbei das Obere. Das „darauf“ Angefügte (be)ruht auf dem Unteren.
So wie ein Haus auf seinem Fundament und wie ein Baum auf seinen Wurzeln steht, so stehen unsere Zukünfte auf den Worten und dem Willen unserer Freunde.
Was hätte man hier besser machen können ?
Ich weiß es nicht, vielleicht nur das eine, mit Lösungsfokus wär das nicht passiert.

Herzliche Grüße,
Christoph